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Das langsame Sterben der Lloyd Sydney |
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Am Montag,
7. Januar 1983, bekam ich am späten Nachmittag einen Anruf, daß die Lloyd Sydney, jetzt
wieder Weserland, in Hamburg sei. Sofort fuhr ich mit dem Auto von Hannover aus in
Richtung Norden. Es war, wie fast immer zu dieser Jahreszeit, schon früh dunkel und es
herrschte ein leichtes Schneetreiben. In Hamburg angekommen, lief ich die letzten Meter zu
Fuß, passierte den Zoll und als ich dann endlich um eine Lagerhalle bog, sah ich sie. In
ihrer ganzen Schönheit lag die alte Lady dort an der Pier, angestrahlt von den
Scheinwerfern, damit die Arbeiter das Löschen der Ladung ungehindert durchführen
können, stand ich wie angewurzelt und hörte mein eigenes Herz schlagen.
Ein zartes Streicheln über die von Rost und Salz beschichtete Reling und ich schlich schweren Herzens die Gangway hinab. Der Schnee ging in leichten Regen über, es hätten auch Tränen sein können, als ich noch einen kurzen Blick auf das Schiff in seiner vollen Länge warf. Nie hätte ich daran gedacht, daß die alte Lady und ich uns in diesem Moment das letzte mal sahen.................
Alang, 150 Kilometer nördlich von Bombay, ist der größte Schiffsfriedhof der Welt. An der dortigen Küste liegen auf über zehn Kilometer Länge dicht nebeneinander bis zu 180 Ozeanriesen am Strand. Im Jahr werden hier über 400 stählerne Riesen vernichtet, 60% aller Abbrüche weltweit. Volle Kraft voraus werden Schiffe bei Flut auf den Strand gefahren, der hier flach ist und voller Schlick. Bei Ebbe fallen die Schiffe trocken und dann kommen die "Eisenfresser", bis zu 40.000 Arbeiter, die die Schiffe von Hand zerlegen, mit Schweißgeräten, Sägen und Hämmern. Von Hand tragen die Arbeiter die Wrackteile aus dem Watt. Bagger und Lkws würden hier im Schlamm versinken.
Die Lloyd Sydney, vor langer Zeit für ein Jahr mein Zuhause, hatte ihre letzte
Reise angetreten. Der Reeder hat sie für $ 127 pro Tonne Leergewicht (zu dieser Zeit
über 2,8 Millionen DM) an das indische Unternehmen Shirdi Steel Traders verschachert,
nachdem ein Makler sie begutachtet hatte. Mit minimaler Besatzung Es wurde auf den richtigen Moment gewartet. An jeweils drei bis vier Tagen mit sehr hohen Tiden bzw. um die Springflut, steckte der neue Eigentümer, der Ship Breaker, eine Fahne in den morastigen Strand, die dann von einem Steuermann von Bord angepeilt wird. Per Funk geht die Anweisung an den Kapitän zu starten. Ein allerletztes Mal springen die schweren Maschinen an, dreht sich die Schraube auf Hochtouren. Der Klang der Nebelhörner gilt als Warnung für alles was im Wege steht, es ist aber auch ein letztes, vergebliches Hilfesignal, ein Schrei der Kilometer weit zu vernehmen ist, aber keine Rettung mehr für das Schiff herbeirufen kann.
Der
Maschinentelegraf wird nie mehr klingeln, es sei denn die "Elektrohöker" finden
noch Käufer für das Modell, welches jahrelang seinen Dienst auf der Brücke des
Ozeanriesen tat. Die schönen Messingteile auf dem Schiff, wovon jedes eine lange
Geschichte erzählen kann, werden bei den kleinen Schrotthändlern zum Verkauf angeboten.
Tausende Läden säumen die Straße von Alang City bis zur Schiffsabwrackstelle. Überall
sind auf dem Weg Der martialische Arbeitsplatz von rund 40.000 Menschen erstreckt sich über viele Kilometer entlang der Küste. Tanker, Frachtschiffe, Passagierdampfer und Kühlschiffe sind hier dicht nebeneinander auf den modrigen Grund gefahren worden und liegen bei Niedrigwasser trocken. Manche sind noch komplett, andere sind bereits zweigeteilt, geviertelt, geachtelt. Es dröhnt und hämmert sieben Tage die Woche. Immer rund um die Uhr, nachts bei gespenstischem Flutlicht. Rasselnde Ketten, aufheulende Motoren und angsteinflößendes Quietschen der Stahlwanten sind hier allgegenwärtig und so laut, das es in den Ohren schmerzt.
Ein Beauftragter des neuen Eigentümers wandert auf meinem alten Schiff umher und entwirft den "scrapping" plan. Er entscheidet nach statischen Gesichtspunkten, in welcher Folge die Einzelteile des Schiffes angegangen werden. Sie darf nicht auseinanderbrechen und sie darf sich auch nicht neigen oder gar umkippen. Die Golden Splendour, ex Lloyd Sydney, soll systematisch demontiert werden da sie noch zu weit im Watt liegt und die Flutphase oder ein Sturm das Schiff bewegen kann. Deshalb werden tragende Teile zuletzt berührt.
Der erste Schritt vor Beginn der Arbeiten im Schiff, ist das Herstellen von etwa zwei mal drei Meter hohen Luken und Fenstern in die Schiffshaut. Das Schiff ist nämlich nach dem "strippen" innen stockdunkel. Bei plötzlich auftretenden Bränden sollen die Öffnungen als Rauchabzug und Fluchtweg dienen. Auch bei plötzlich auftretenden hohen Wasserständen kann der Frachter nicht mehr aufschwimmen und Schaden anrichten. Das langsame, qualvolle Sterben beginnt.
Auf dem Schiff
herrscht infernalischer Lärm. Mit Schneidbrennern wird der Schiffsstahl in Stücke
geschnitten. Schwere Eisenteile werden von Deck des Wracks aus mehr als 10 Meter Höhe auf
den Strand geworfen. Flammen züngeln überall und schwarze Rußwolken verdunkeln den
Himmel. Die Arbeiter legen Ketten um gelöste Teile und ziehen sie mit Winden in Richtung
Land. Am Die Lloyd Sydney verliert in den ersten vier Wochen ein Drittel ihres Volumens. Leichter geworden, wird sie jetzt bei jeder Flut mit Winden von Land aus, weiter auf den öligen Strand gezogen. So schwer sie auch ist und sich dagegen wehrt, sie ist chancenlos. Ohne Pause schweißen und hämmern die Arbeiter bis in die Nacht hinein. Sprühende Metallfunken erglimmen in der Abenddämmerung und rieseln funkelnd von dem schon teilweise skelettierten Schiff herunter. Die Inder tragen
schwere Platten, Eisen- und Stahlteile zum Ausgang des eingezäunten Plots Richtung Von außen wird die Lloyd Sydney weiter gnadenlos filettiert, Stück für Stück wird aus ihr herausgerissen. Plastikteile, Dichtungsmassen und Kabelisolierungen werden sofort am Strand verbrannt. Das Gelände gleicht einem Schlachtfeld. Meterhoch türmt sich der Schrott. Jede Schraube oder Mutter wird eingesammelt. Viele Dinge, die nicht benötigt werden, schmeißen die Arbeiter einfach ins Meer. Rund um Alang gibt es ein gigantisches Slumgebiet. Hunderttausende von Menschen hausen hier in Wellblech und aus dem Wasser gefischten Schiffsschrott.
Nach über acht Wochen ist alles vorbei, der Todeskandidat, die Lloyd Sydney, ist verschwunden. Für immer und ewig. Brennende Stellen mit Altöl, Kilometer weit sieht man die Rauchfahnen, am Strand im Dreck liegende Stahlträger, erinnern noch daran, daß hier vor kurzem ein stolzer Frachter lag. Im Schlamm liegen noch einige WC-Schüsseln von ihr, für die keiner Verwendung fand. Der Rest ist verteilt. Eines hat überlebt. Die Schiffsglocke aus Messing. Sie wird niemals eingeschmolzen, sie ist auch unverkäuflich. Der Shipbreaker behält sie und spendet sie zu bestimmten Anlässen an eine Kirche oder einen Hindutempel. Am Ortsausgang von Alang läutet eine Glocke von einem russischen Dampfer, wo die der Lloyd Sydney abgeblieben ist, konnte bis heute keiner beantworten . . . . design fright-fright copyright by andre krueger ak-tsc.de 2001 |